Markus Breig, KIT
Hesthaven posiert für ein Portrait.

„Bildung ist ein wesentlicher Teil unseres gesellschaftlichen Auftrags“

Seit Monatsbeginn steht Jan S. Hesthaven als neuer Präsident an der Spitze des KIT. Im Interview mit clicKIT macht er klar, dass die Lehre für ihn eine hohe Priorität hat. Warum das so ist und wie er sich die Zukunft des Studiums am KIT vorstellt, hat er uns erklärt.

English version

clicKIT: Was haben Sie sich, jetzt, wo Sie am KIT sind, für die ersten 100 Tage vorgenommen?

Hesthaven: Am wichtigsten ist es für mich, die Menschen am KIT kennenzulernen – Professorinnen und Professoren, Studierende und Mitarbeitende. Um noch mehr über das KIT mit seinen Möglichkeiten und Herausforderungen zu erfahren, muss ich ihnen zuhören. Ich bin offen für Veränderungen zum Wohle der Einrichtung, aber mir ist auch bewusst, dass vieles am KIT sehr gut funktioniert und sicherlich nicht drastisch verändert werden sollte. Um dieses Gleichgewicht zu finden, brauche ich ein tieferes Verständnis für das KIT. Gleichzeitig möchte ich auch ins Gespräch kommen und offen diskutieren, wo wir als Institution stehen und wohin wir uns in den nächsten fünf oder zehn Jahren entwickeln wollen.

Hesthaven im Dialog mit Studierenden. Markus Breig, KIT
Den Menschen zuhören und das KIT besser kennen- und verstehen lernen, hat sich Jan S. Hesthaven für seine Anfangszeit als neuer Präsident des KIT vorgenommen.

clicKIT: Sicher haben Sie dennoch schon ein paar grobe Ideen, wie die Zukunft aussehen könnte?

Hesthaven: Ich habe ein paar allgemeine Themen, über die ich mit den Menschen am KIT diskutieren möchte. Ein Beispiel: Wir unterrichten seit der Industrialisierung weitestgehend unverändert in großen Gruppen, wo die Zeit bis zum Abschluss ein zentraler Faktor ist, was dazu führt, dass die Studierenden mit sehr unterschiedlichen Skillsets ihren Abschluss machen. Künstliche Intelligenz gibt uns die Möglichkeit, Bildung für alle Studierenden zu personalisieren, indem wir ihnen einen persönlichen Tutor an die Seite zu stellen. Durch diese exklusive Eins-zu-Eins-Betreuung mithilfe von KI können wir die Studierenden viel personalisierter unterstützen, während wir gleichzeitig die Qualität der Lehre und damit der Absolvierenden steigern. Das ist eine substanzielle Veränderung, und das nicht erst in 100 Jahren, sondern innerhalb des nächsten Jahrzehnts. Gemeinsam müssen wir darüber nachdenken, wie wir mit solchen Möglichkeiten umgehen wollen und was die Nachteile dabei sind.

Eine wesentliche Rolle spielt für mich auch das Thema Diversität: Wir müssen uns international noch stärker öffnen, Talente aus der ganzen Welt zu gewinnen und sicherzustellen, dass sie sich am KIT zu Hause fühlen. Es geht mir aber auch um sozioökonomische Vielfalt. Wir können es uns nicht leisten, junge Menschen zu verlieren, die talentiert und engagiert sind, die sich aber gegen ein Studium entscheiden, weil sie sich in dieser Umgebung nicht zurechtfinden.

clicKIT: Und wo sehen Sie das KIT in zehn Jahren im Vergleich zu anderen Universitäten in Deutschland und weltweit?

Hesthaven: Ich glaube viel mehr an Zusammenarbeit als an Wettbewerb. Dazu müssen wir sowohl in Deutschland als auch international vertrauenswürdige Partner finden, mit denen wir bei unseren Kernaufgaben – Lehre, Forschung, Innovationen und gesellschaftliches Engagement – zusammenarbeiten können. Einrichtungen wie das KIT können nicht in allem herausragend sein und um eine echte Wirkung zu entfalten und eine internationale Führungsrolle einnehmen zu können, müssen wir mit Einrichtungen kooperieren, deren Stärken komplementär zu unseren sind. Ich möchte das KIT als einen Ort etablieren, an den sich andere Institutionen wenden, wenn sie nach einem Partner suchen – sei es in Lehre oder Forschung.

clicKIT: Bei anderer Gelegenheit sagten Sie, dass Bildung unser Vertrag mit der Gesellschaft widerspiegelt. Wie denken Sie da über die Lehre am KIT, gerade mit Blick auf die Besonderheit mit der Verbindung zur Großforschung? Was halten Sie von forschungsorientierter Lehre?

Hesthaven: Als Universität können wir zwei Dinge tun. Erstens bilden wir Menschen für unsere Gesellschaft aus und schaffen Chancen für soziale Mobilität. Dies sind zentrale Bestandteile unseres Vertrags mit der Gesellschaft, unseres gesellschaftlichen Auftrags: Wir erhalten weitreichende Ressourcen, um diese Ziele durch Bildung zu erreichen. Und wenn wir uns nicht intensiv um die Qualität und den Stellenwert unserer Absolventinnen und Absolventen kümmern, könnten wir das Vertrauen der Gesellschaft verlieren, was unsere gesamte Existenz gefährden würde.

Zweitens kann eine Universität etwas tun, das eine reine Forschungseinrichtung nicht kann. Sie kann sehr risikoreiche Forschung durchführen und selbst wenn sie dabei scheitert, hat sie dennoch ihren Bildungsauftrag erfüllt, weil sie in diesem Prozess Studierende ausbildet. In anderen Worten: Eine Universität hat die Fähigkeit, hochriskante Forschung mit der Lehre zu abzusichern. Das ist eine ganz andere Situation im Vergleich zu einer reinen Forschungseinrichtung oder industrieller Forschung. Der Bildungsauftrag ist eine Besonderheit, die es uns als Einrichtung ermöglicht, Dinge zu tun, deren Begründung anderen Teilen der Helmholtz-Gemeinschaft schwerfallen könnte. Am KIT sind diese beiden Elemente eng verbunden und der gegenseitige Nutzen von Lehre und Forschung ist eine einzigartige Stärke. Für mich gibt es deshalb keinen großen Unterschied zwischen der Bedeutung von Forschung und Lehre – in ihrer Kombination liegt die wahre Stärke.

clicKIT: Welche Möglichkeiten sehen Sie am KIT für Studierende, die es sonst nirgendwo gibt?

Hesthaven: Das KIT ist eine Universität, die mit einem nationalen Großforschungszentrum verbunden ist, das Teil der Helmholtz-Gemeinschaft ist. Wenn man das visualisiert, dann gibt es einen Ring von 18 Helmholtz-Forschungszentren und an einem hängt ein Satellit – der universitäre Teil des KIT. Ich würde dieses Bild gerne umdrehen, die Universität ins Zentrum setzen und danach streben, sie mit allen 18 Forschungszentren zu verbinden.

Das würde der Universität erlauben, ihre „high risk – high payoff“-Forschung durchzuführen, die in viele der 18 Forschungszentren einzahlen könnte, statt nur ein einziges. Außerdem könnten wir den Studierenden die einzigartige Möglichkeit bieten, einen Teil ihrer Ausbildung nicht nur am Campus Nord, sondern in einem der Helmholtz-Zentren in ganz Deutschland zu machen. Wir befinden uns da wirklich in einer einzigartigen Situation und ich würde gerne ein Model entwickeln, bei dem das KIT weniger ein Anhang der Helmholz-Zentren ist, sondern vielmehr in deren Mitte steht, um sicherzustellen, dass das KIT wirklich „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ ist. Wir müssen diese besondere Position und die einzigartigen Ressourcen in der Helmholtz-Gemeinschaft optimal nutzen, um in Forschung, Lehre und Transfer disziplinübergreifend zusammenzuarbeiten.

clicKIT: Möchten Sie abschließend den Studierenden am KIT etwas Persönliches mit auf den Weg geben?

Hesthaven: Ich würde sagen, seien Sie offen für die Möglichkeiten, die sich auftun. Als ich Student im dritten Jahr war wurde ich gefragt, ob ich für sechs Monate ins Vereinigte Königreich gehen möchte, um in einem europäischen Fusionslabor außerhalb von Oxford zu arbeiten. Ich hatte zuvor nie außerhalb Dänemarks studiert, aber ich habe die Gelegenheit wahrgenommen. Für mich war das lebensverändernd und ich habe gemerkt, dass ich unbedingt in die Forschung möchte. Als ich zurückkam war ich ein wesentlich besserer Student, weil ich jetzt ein Ziel hatte, eine Leidenschaft. Das hat sich dann durch meine gesamte akademische Karriere gezogen, in der ich mehrfach in ein neues Land gezogen bin. Jedes Mal hat es mein Leben verändert und bereichert. Das ist der beste Rat, den ich geben kann: Seien Sie offen für die Möglichkeiten, die sich auftun, und zerdenken Sie diese nicht. Deshalb bin ich auch hier am KIT, weil sich die Möglichkeit aufgetan hat und spannend war.

Interview: Leonie Kroll, Margarete Lehné

10.10.2024