Privat
Bild der Rheinbrücke.

Brücken bauen im Studium – ganz wörtlich genommen

Studierende aus zwei verschiedenen Studiengängen, die zusammen eine Brücke über den Jachthafen in Karlsruhe entwerfen? Wie das funktioniert und warum es manchmal einen weiten Blick über den eigenen Tellerrand hinaus braucht, zeigen Studierende des Bauingenieurwesens und der Architektur im Kurs „Entwerfen und Konstruieren im Metall- und Leichtbau“.

„Für die Studierenden bietet der Kurs etwas, was sie sonst im Studium nicht oder selten haben: Sie verfolgen ein ganzes Projekt von der Idee über den Entwurf bis zur Berechnung der Statik – und das mit Kommilitoninnen und Kommilitonen aus einem anderen Studiengang“, sagt Marcel Mott, der die Lehrveranstaltung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stahl- und Leichtbau mitbetreut.

Die Relevanz ergebe sich aus dem zukünftigen Arbeitsalltag: „Die zwei Gruppen aus den Studiengängen Bauingenieurwesen und Architektur lernen in ihrer Ausbildung Denkweisen und Ansätze, die sich stark voneinander unterscheiden, sie arbeiten im späteren Berufsleben jedoch oft sehr eng zusammen. Im gemeinsamen Kurs lernen sie die verschiedenen Herangehensweisen kennen und sehen die Welt auch mal durch die Brille des anderen.“

Reale Projekte der Stadt planen

In den ersten Wochen des Semesters erhalten die Studierenden durch Impuls-Vorträge Input zu verschiedenen Themen, die für die spätere Aufgabenstellung wichtig sind. Nach einigen Wochen erhalten sie die Projektaufgabe, die auf realen Projekten der Stadt Karlsruhe basiert und beispielsweise vom Tiefbau- oder Gartenbauamt stammt. Im Anschluss arbeiten die in gemischten Gruppen eingeteilten Studierenden gemeinsam an der Aufgabenstellung.

Modell einer Brücke. Bernd Seeland
Von der Idee zum Modell: Die Studierenden setzten ihre Entwürfe in kleinem Maßstab um.

„Alle zwei bis drei Wochen gibt es Korrekturgespräche, zu denen die Gruppen den aktuellen Stand ihres Entwurfs mitbringen. Wir schauen uns die Entwürfe an, bewerten sie und stehen bei allen Fragen beratend zur Seite“, so Mott. Zum Ende des Semesters steht dann eine Abschlusspräsentation auf dem Plan: Die Studierenden stellen ihre Entwürfe und eine quasi prüffertige Statik vor, eine schriftliche Ausarbeitung, in der das Tragwerk berechnet wird.

Entwürfe für eine Brücke aus Stahl

Christoph, Masterstudent im Studiengang „Funktionaler und konstruktiver Ingenieurbau – Engineering Structures“, eine Spezialisierung des Bauingenieurstudiums, und Christian, Masterstudent im Studiengang Architektur, haben im vergangenen Wintersemester den Kurs besucht. In einer Gruppe mit zwei weiteren Studierenden erstellten sie einen Entwurf für eine Brücke für Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Fahrräder über der Einfahrt des Jachthafens in Karlsruhe.

„Zum ersten Korrekturgespräch sollten wir drei verschiedene Entwürfe für die Stahlbrücke mitbringen“, erzählt Christoph. „Dafür haben wir entsprechende Modelle gebaut, mit denen wir auch experimentieren konnten. Wir haben uns dann für einen Entwurf entschieden – eine Brücke in S-Form, die den Verlauf des Geländes vor Ort widerspiegelt – und ihn Woche für Woche weiterentwickelt“, ergänzt Christian.

Christian posiert für ein Portrait.Privat
Christoph posiert für ein Portrait.Privat

Architektur-Student Christian (links) und Bauingenieurwesen-Student Christoph haben mit ihrer Gruppe im Kurs „Entwerfen und Konstruieren im Metall- und Leichtbau“ eine Brücke entworfen.

Neues lernen durch interdisziplinäre Gruppen

Beide Studierenden bewerten die Zusammenarbeit der Studiengänge und den Kurs insgesamt positiv. „Fachlich hat das super funktioniert“, so Architektur-Student Christian, „und ich fand es sehr spannend, wie die Bauingenieurinnen und Bauingenieure mit verschiedenen Themen umgehen. In meinem Studium spielt zum Beispiel Tragwerkslehre nur eine kleine Rolle. Zu sehen, wie sich die anderen aus ihrer Perspektive damit beschäftigen und welche anderen Dinge sie bei der Planung beachten, die für uns Architektinnen und Architekten nicht direkt im Vordergrund stehen, hat sehr zum gegenseitigen Verständnis beigetragen und ist auch für das spätere Berufsleben hilfreich.“

Eine Brücke aus der Vogelperspektive. Privat
Eine Brücke, die für Fußgänger und Fahrradfahrer konzipiert ist. Privat
Brücke, die aus der Froschperspektive abgebildet ist. Privat

Die Brücke über den Jachthafen in Karlsruhe wurde als Fuß- und Radweg über den Rhein entworfen. Die S-Form spiegelt den Verlauf des Flusses wider.

Auch Christoph empfiehlt den Kurs weiter: „Mir hat der Kurs sehr gut gefallen und ich kann ihn allen Bauingenieurwesen-Studierenden nur ans Herz legen. Es ist wirklich etwas ganz anderes, weil es so viel Praxisbezug gibt und es viel Spaß macht, ein Projekt über das ganze Semester zu bearbeiten. Außerdem habe ich viel Neues gelernt, beispielsweise über den Modellbau, der normalerweise nicht Teil des Studiums ist.“ Die beiden sind sich zudem einig: Der Kurs profitiere in Zukunft davon, wenn mehr Architektinnen und Architekten daran teilnehmen – diese sind meist in der Unterzahl – um auch unter den Architektur-Studierenden mehr Raum für Diskussion und Austausch zu ermöglichen.   

Text: Laura Jörger
Titelbild, Grafiken Brücke, Portraitfotos: Privat
Foto Modellbrücke: Bernd Seeland

9.6.2023