Gute Frage: Brauchen wir Bäume in der Stadt?
Dampfender Asphalt und drückende Hitze – so sehen die Sommer in unseren Städten aus. Somidh Saha, Forschungsgruppenleiter am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT, beschäftigt sich mit unerforschten Fragen der urbanen Waldwirtschaft und Grünplanung für ein optimales Mikroklima in Städten.
Herr Saha, warum wir Bäume in der Stadt?
Wir brauchen Bäume, um zu überleben. Die Bäume brauchen nicht uns zum Überleben!
Die erste Pflanze mit baumähnlichen Eigenschaften (Cladoxylopsida) wie einer vaskulären Xylemstruktur und einem Kambium entstand vor etwa 374 Millionen Jahren. Der erste Mensch trat vor etwa 286 Tausend Jahren in Erscheinung. Die ersten "Städte" entstanden vor etwa 7 000 Jahren, und die rasche Verstädterung nach der industriellen Revolution begann erst im 18. Jahrhundert. Man kann also sagen, dass der Mensch mehr als 98 Prozent seiner Existenz in natürlichen Landschaften verbracht hat, in denen Bäume ein wichtiger Bestandteil waren.
Wir haben uns also in Bäumen und in der Natur entwickelt, und deshalb hat der Mensch eine intensive Beziehung zu Bäumen. Bäume verbessern unsere geistige Gesundheit und unser Wohlbefinden: Bürger, die in Stadtvierteln ohne ausreichend Grünflächen leben, neigen eher zu neurologischen Erkrankungen, psychischer Morbidität und Depressionen als Menschen, die in Stadtvierteln mit Grünflächen leben. Stadtbäume sind ein wichtiger Bestandteil städtischer Grünflächen und erbringen eine Vielzahl von kulturellen Ökosystemleistungen. Unsere Studie im Rahmen des GrüneLunge-Projekts ergab beispielsweise, dass 90 Prozent der Einwohner in Karlsruhe während der COVID-19-Pandemie von städtischen Grünflächen profitierten. In Städten auf der ganzen Welt gibt es eine höhere Nachfrage nach den Erholungsmöglichkeiten und ästhetischen Vorzügen, die Grünflächen bieten. In Karlsruhe und in den Städten des Oberrheingrabens sterben jedoch die Stadtbäume durch die Zunahme von Pflanzenkrankheiten und Verstädterung sowie aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels, etwa Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen.
Darüber hinaus bieten die oben erwähnten kulturellen Ökosystemleistungen ein breites Spektrum an regulierenden und unterstützenden Ökosystemleistungen, die dem Menschen und der städtischen Tierwelt zugute kommen. Beispielsweise regulieren Stadtbäume die Lufttemperatur, so hat unsere Studie, dass die Nachttemperatur während Hitzewellen in der Karlsruhe in Gebieten mit 50 % oder mehr Baumbewuchs um 5 Grad Celsius gesenkt werden konnte. Stadtbäume reinigen auch die Luft: Wir haben festgestellt, dass sich mit der Zunahme der Blattfläche auch die Luftqualität verbessert. Außerdem dienen große Stadtbäume als Lebensraum für die städtische Tierwelt. Wir haben neun Fledermausarten gefunden, die Stadtbäume in Karlsruhe nutzen. Bei einer Genomsequenzierung der nächsten Generation (Umwelt-DNA-Analyse) wurde die DNA von 400 Tierarten (Wirbeltiere, Wirbellose, Insekten, Mollusken und andere) an nur 12 nordamerikanischen Roteichen und Spitzahornbäumen in Karlsruhe gefunden, die in der Nähe von Parks und Straßen einzeln wuchsen.
Zur Person
Dr. Somidh Saha ist Leiter der Forschungsgruppe „Sylvanus – Erhöhung der Resilienz und Vermeidung von Zielkonflikten bei Waldumwandlungen“ am ITAS. In seiner Forschung beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit sozial-ökologischer Resilienz, Waldumwandlung und -wiederherstellung, Waldbau und Waldökologie, urbaner Waldwirtschaft und Ökologie sowie Biomasse und Bioenergie in Wäldern.
Mehr Informationen über Somidh Saha findet ihr in seinem Expertenporträt und im Themenhighlight „Wie geht’s weiter mit dem deutschen Wald?“ auf www.kit.edu.