Nachhaltige Architektur selbst mitgestalten
Von der Ideenfindung bis zum fertigen Gebäude – Studierende entwickeln mit einem interdisziplinären Team die nachhaltige Architektur von morgen. Der Forschungsbau „ReSidence“ wird derzeit auf der Landesgartenschau in Wangen ausgestellt.
„Im ersten Architektursemester hatte ich schnell den Eindruck, dass oft nicht nachhaltig geplant wird, weil vieles versteckt und verklebt wird und irgendwelche komplizierten Systeme entwickelt werden“, meint Annalena Thessmann, Architekturstudentin am KIT. „Wir müssen zurück zum einfachen Bauen, mit mehr natürlichen Materialien, die leicht wieder auseinandergenommen werden können und biologisch abbaubar sind.“
Mit neuinterpretierten Fachwerkhäusern zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen
Moritz Dörstelmann, Tenure-Track-Professor für Digital Design and Fabrication (DDF) am KIT, weist zudem auf die derzeit enormen Emissionen im Bauwesen hin: „Das Bauwesen ist für mehr als 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich – der Flugverkehr im Vergleich nur für zwei bis drei Prozent. Um langfristig umweltbewusster bauen zu können, sind deshalb innovative Ansätze nötig. Mit unserer Forschung interpretieren wir das historische Handwerk daher digital neu.“
Deshalb hat er mit seinem Team das Konzept der Fachwerkhäuser neu gedacht: „Eines unserer Demonstratorprojekte besteht aus einer hybriden Tragstruktur aus Holz in Kombination mit Deckenbauteilen aus einem Weiden-Lehm-Verbund. Die Fassade besteht aus Flachs-Fasern. So konnten wir einen intelligenten Materialmix aus lokalen, schnell nachwachsenden Materialien sowie Erde und Holz konstruktiv nutzen.“ Der Demonstratorbau „Residence“ wird aktuell bis zum 6. Oktober 2024 auf der Landesgartenschau in Wangen ausgestellt.
Die Skalierbarkeit dieser natürlichen Baumaterialien in leistungsfähigen Bauteilen werde durch den Einsatz digitaler Bautechnologien ermöglicht. Mit seinem Team hat er hierzu beispielsweise digitale Entwurfs- und automatisierte Fertigungsverfahren für Konstruktionsbauteile aus einem Weiden-Lehm-Verbund entwickelt.
Studierende als fester Bestandteil des Projektes
Die Studierenden des KIT bezieht Dörstelmann dabei in allen Projektphasen aktiv mit ein. „Ich durfte wirklich überall mitmachen: Das ging vom Flechten der Weide und der Vorbereitung des Lehms über die Konzeptentwicklung und das Betätigen der Werkzeugmaschinen bis zum finalen Zusammenbau der Komponenten“, erzählt Kristof Kreer, Architekturstudent am KIT. Annalena ergänzt: „Es war nie so, dass jemand einfach gesagt hat, wir machen das so und fertig. Ganz im Gegenteil: Wir wurden aktiv in die Überlegungen miteinbezogen.“
Mit seiner praxisnahen Lehre will Dörstelmann seine Studierenden zum lebenslangen Lernen befähigen: „Sie sollen nicht nur die Werkzeuge von heute beherrschen, sondern sich auch flexibel auf zukünftige Werkzeuge und Technologien vorbereiten und diese aktiv mitgestalten.“
Für Finn Mayer, Architekturstudent am KIT, geht das Konzept voll auf: „Mir gefällt die praxisnahe Arbeit sehr gut und es hilft mir definitiv, bestehende Konzepte neuzudenken und andere Wege auszuprobieren.“ Für die Studierenden ist die praktische Arbeit aber vor allem auch eine willkommene Abwechslung zum ständigen theoretischen Lernen. „Es hat mir wirklich geholfen, ein bisschen was anderes zu machen, anstatt die ganze Zeit zu Hause zu sitzen oder im Studium irgendwelche Pläne auszuarbeiten – es war fast eine Art Befreiung“, sagt Kristof.
Jannick Holste, 20.06.2024